Meine Yogamatte, der Rollstuhl und das Leben dazwischen… beim Projekt 52 geht es diesmal um das Thema Gegensätze.
Da steht er, mein schwarzer Rollstuhl, in der Ecke des Wohnzimmers. Und mittendrin, wie selbstverständlich zusammengerollt, meine weinrote Yogamatte. Ein Bild, das mich auf der Suche nach einem Fotomotiv fürs Projekt 52 zum Grinsen gebracht hat, denn diese Kombination ist so absurd passend für mein Leben mit Multipler Sklerose.

Denn was sich da in der Wohnzimmerecke zeigt, ist wirklich ein Gegensatz deluxe. Mein Rollstuhl ist seit 2023 treuer Begleiter für Ausflüge und doofe Tage und gleichzeitig das Piktogramm, das weltweit für Behinderung steht. Dieses schlichte Symbol begegnet uns überall im Alltag, vom Parkplatz bis zur Klotür, und kommuniziert sofort: hier geht es um Einschränkung und Immobilität.
Aber die Yogamatte darin erzählt eine ganz andere Geschichte – eine von Beweglichkeit, Kraft und aktiver Körperarbeit.
Wer mich nicht kennt, würde vermutlich stirnrunzelnd auf dieses Arrangement starren. „Entweder du brauchst den Rollstuhl ODER du machst Yoga“, scheint die Logik zu diktieren. Aber hey, wer hat eigentlich festgelegt, dass chronische Erkrankungen in ordentlichen Schubladen bleiben müssen? 🤪
Mein Körper hat offenbar das Memo nicht bekommen, dass man entweder gesund ODER krank zu sein hat. An manchen Tagen springe ich morgens aus dem Bett (na gut, „springen“ ist optimistisch, aber du weißt, was ich meine). An anderen Tagen habe ich Puddingmuskeln mit Bleigewichten dran und jede Bewegung schmerzt.
Seit einigen Wochen machen meine beste Freundin alias Mitbewohnerin und ich fast jeden Abend vor dem Schlafengehen noch eine Runde Yoga im Wohnzimmer. Sie hat eine App auf dem Handy, bei der wir erst den Einsteigerkurs absolviert haben und jetzt sind wir auch schon mitten drin im Fortgeschrittenenprogramm.
Ich bin mega stolz auf uns, dass wir das durchziehen und dranbleiben! 💪
Bis zur Pandemie war ich ja regelmäßig im Yogastudio, seitdem habe ich nur sehr sporadisch mal was gemacht. Körperlich bin ich leider definitiv nicht mehr auf dem Level von damals.
Die animierte Figur in der App macht zwar alles mit spielerischer Leichtigkeit vor, während ich dabei manchmal eher aussehe wie eine labberige Brezel – aber ich versuche anzunehmen, dass das völlig okay ist. Ich mache die Übungen halt, so gut ich kann. Und ich merke, wie mein Körper dadurch allmählich wieder beweglicher wird (und irgendwann hoffentlich auch stärker 😅).
Nach der Session rolle ich die Matte wieder ein und dann – praktisch, platzsparend und irgendwie poetisch – landet sie in meinem Rollstuhl.
Es ist dieses „Sowohl-als-auch“, das mein Leben mit MS ausmacht. Ich bin weder die heldenhafte Kranke, die trotz allem jeden Tag Yoga praktiziert, noch bin ich die arme Patientin im Rollstuhl. Ich bin einfach ich – mit guten und schlechten Tagen, mit Grenzen und Möglichkeiten.
Es wäre gelogen zu sagen, dass ich damit nicht gewaltig struggle. Egal wie oft ich mir sage, dass der Rolli eigentlich ein verdammt smartes Ding ist, das Energie spart und Schmerzen verringert und somit meine Lebensqualität verbessert. Es ist und bleibt halt ein Rollstuhl mit all den Klischees und Vorurteilen, die damit verbunden sind.
Obwohl ich noch nie negative Kommentare erhalten habe, sitzt die Angst davor tief. In meinem Freundes- und engeren Bekanntenkreis ist die MS mittlerweile kein Geheimnis mehr. Aber viele andere kennen mich halt trotzdem nur als Fußgängerin (die ziemlich gut darin ist, Schmerzen und Einschränkungen zu kaschieren).
Natürlich bin ich dankbar, den Rollstuhl nicht permanent zu benötigen. Aber dieses Leben zwischen den Kategorien macht es sozial nicht gerade einfacher. Es fühlt sich an, als würde man gegen unausgesprochene gesellschaftliche Erwartungen verstoßen: „Entweder du bist behindert ODER gesund.“ Diese Grauzone dazwischen – die für so viele von uns mit chronischen Erkrankungen Realität ist – scheint im allgemeinen Verständnis kaum vorgesehen zu sein
Da geht dann halt mein Kopfkino los: „Was, wenn die Leute denken, ich täusche etwas vor? Was, wenn ich mich rechtfertigen muss, warum ich mal im Rollstuhl sitze und mal nicht?“ – Eigentlich total bescheuert, ich weiß. Aber das Paradoxe an chronischen Erkrankungen – gerade mit so phasenweisen Schwankungen wie bei MS – ist ja, dass einem gern mal unterstellt wird, die Krankheit zu faken, wenn es einem gut geht – während man viel öfter die Zähne zusammenbeißt und versucht, nicht negativ aufzufallen, wenn es einem halt nicht gut geht. 🫠
Dass mein Rollstuhl eigentlich viel zu schwer und klobig ist zum Selberfahren und ich außerhalb von Gebäuden immer auf jemandem zum Schieben angewiesen bin, macht es nicht leichter… ich kämpfe seit beinahe einem halben Jahr mit der Krankenkasse um einen Aktivrollstuhl, mit dem ich selber fahren kann. Aber das ist eine andere Geschichte…
Tja, die Welt liebt Eindeutigkeit, aber mein Körper folgt seinen eigenen Regeln. Manchmal kooperiert er, manchmal streikt er, und ich muss nolens volens lernen, mich dieser Dynamik anzupassen. Die Yogamatte im Rollstuhl ist eine pragmatische Aufbewahrungslösung, die zufällig mehr über mein Leben aussagt als geplant. Und ehrlich gesagt, mag ich dieses Bild – es erinnert mich daran, dass es okay ist, nicht in eine einzige Kategorie zu passen. Weder das eine noch das andere zu sein, sondern einfach ich – mit allem an Gegensätzen, was dazugehört.
Die Beiträge der anderen Teilnehmer findest du wie immer bei Sari in der Linkparty. 😊
Ich liebe alles an diesem Bild. Gegensätze können so viel mehr sein und ich finde die Gedanken dazu so stark und wertvoll!! Eine wirklich schöne Umsetzung!
Vielen lieben Dank! 💛
Das Thema hast du wirklich gelungen und schön umgesetzt. Ja, auf den ersten Blick ist das ein Gegensatz, aber eben auch doch nicht. Toll, wie du das beschreibst. Das perfekte Foto für das Thema. :)
Danke – ja, die Welt und das Leben sind manchmal weniger schwarz-weiß, als es erstmal den Anschein hat. 😊