Jetzt habe ich schon wieder einen kleinen Gewissenskonflikt mit einem Thema von Saris Projekt 52… 😁
Weißt du noch, neulich bei „Jeden Sonntag“? – Genau, da habe ich einen Äppelhaufen aus dem Stutenstall fotografiert, weil ich da nun mal jeden Sonntag mit dem Mistdienst dran bin. Es ist mir sehr wohl nicht entgangen, dass das von allen 18 bisher entstandenen Beiträgen zum Projekt 52 der einzige ist, der keinen einzigen Kommentar erhalten hat. 😅
Also, verstanden – Rustikales kommt nicht so gut an.
Aber… tja. Jetzt droht so etwas schon wieder. 🤷♀️
Landluft
„Landluft“ heißt die nächste Aufgabe nämlich ganz harmlos… und ich musste ziemlich grinsen, als ich das gelesen habe.

Als Stadtmensch denkt man bei dem Wort bestimmt an so etwas Angenehmes wie den Geruch von frisch abgemähten Feldern… Blumenduft… eine sanfte Brise irgendwo im Grünen… Kinners, es tut mir ehrlich leid. Hier auf dem Dorf bedeutet das etwas ganz anderes. Da geht man nämlich vor die Tür, schnuppert kurz und verzieht das Gesicht: „Örx… Landluft… 😵💫“ Will heißen: irgendein Bauer in der Umgebung hat gerade Gülle ausgebracht.
Wikipedia definiert Gülle kurz und schmerzlos:
Gülle ist ein natürlich anfallender Wirtschaftsdünger, der hauptsächlich aus Abfallstoffen der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung wie Urin und Kot besteht. Je nach Beigabe von Einstreu und Wasser spricht man von Dick- oder Dünngülle, Schwemmmist oder Flüssigmist bzw. Jauche (vgl. Mist).
Wikipedia: Gülle
Es tut mir echt Leid. 🤓
Aber hey!
Aus Gründen der Ästhetik habe ich mich entschieden, die Erzeuger zu fotografieren statt des Erzeugnisses. 😁
Ta-daa:

Skurrile Gülle-Fakten
Um diesen Beitrag erträglicher zu machen, habe ich dir ein paar Fakten aus der Kategorie „unnützes Wissen“ zusammengestellt:
- Gülle-Silvester wird am 31. Januar gefeiert: dann endet nämlich die Sperrfrist der Wintermonate, ab Februar darf wieder Gülle auf die Felder und Wiesen gefahren werden.
- Gülle kommt rum: weil sich Viehhaltung und Ackerbau nicht überall die Waage halten, wird die überschüssige Gülle aus Bundesländern mit viel Viehhaltung (wie etwa hier in NRW) mit LKW und Schiffen Hunderte von Kilometern weit in anderen Regionen mit mehr Feldern transportiert.
- Gülle in Hülle und Fülle (hau mich nicht für dieses Wortspiel 😄): aus einer durchschnittlichen Milchkuh kommen pro Jahr durchschnittlich 25 Kubikmeter Gülle. Damit bekommst du einen Pool von 6x3m gefüllt, der 1,40m tief ist. Die Menge variiert natürlich, je nachdem ob Einstreu mit dabei ist, und im Laufe der Monate zersetzt sich der Mist und wird komprimierter. Aber du bekommst eine Vorstellung davon, dass die Mist-Logistik gerade im Winter nicht ganz einfach ist, wenn die Gülle nicht ausgebracht werden darf und Dutzende oder gar Hunderte Kühe weiterhin vor sich hin verdauen.
- Die Gülle-Challenge: damit die Nährstoffe optimal in den Boden gelangen, darf der Boden nicht zu kalt und schon gar nicht gefroren sein, zu heiß darf es aber auch nicht sein – 10-15°C sind optimal und idealerweise regnet es kurz danach auch. Die Zeitfenster mit diesen Bedingungen sind naturgemäß eng gestrickt, wie bei so ziemlich allem in der Landwirtschaft sind Timing und Logistik also eine Herausforderung. Eine Extra-Challenge stellt die Konsistenz der Gülle dar: ist sie zu dickflüssig bzw. hat noch Stückchen drin, bleiben die beim Ausbringen auf dem Boden liegen (diese „Güllewürste“ will keiner haben) oder verstopfen im ungünstigten Fall auch die Pumpe.
- XXL-Gülle: hierzulande siehst du meistens einen Traktor mitsamt Güllefass seine Bahnen über das Feld ziehen. In Kanada ist das alles „ein bisschen“ größer, wie du in diesem Video mit der „größten bisher gefilmten Güllepumpe“ sehen kannst.
Wie funktioniert das mit der Gülle eigentlich genau?
Falls du dich gerade fragst, was in aller Welt eine Güllepumpe ist und wie der Mist aus der Kuh schließlich aufs Feld kommt:
Vom Kuhstall aus wird der Mist (also Kuhfladen plus nasse / dreckige Einstreu) erstmal gesammelt. In moderneren bzw. für Viehhaltung im großen Stil konzipierten Ställen fällt der Mist direkt durch Schlitze im Boden nach unten in einen Güllekeller, andernfalls muss er halt geschippt werden.
Jetzt muss der Mist mindestens 6 Monate lang ablagern, und zwar in einem geschlossenen Bereich, um Emissionen oder ein Einsickern ins Grundwasser zu verhindern.
Vor dem Ausbringen wird die Gülle verrührt und mit einer Güllepumpe in ein Transportfass befördert – das kommt dann hinten an den Traktor dran. Auf deutschen Höfen fassen die Fässer meist 3-20 Kubikmeter, manchmal sieht man die wirklich großen Güllefässer mit 30 Kubikmetern (sprich: 30.000 Liter). Zum Vergleich: das Monster aus Kanada kommt auf 64 Kubikmeter.
Wenn Hof und Felder weit auseinander liegen, werden größere Mengen Gülle in einem Zubringerfass mitgenommen und dann vor Ort auf dem Feld in das kleinere Ausbringfass umgepumpt.
Für das Ausbringen gibt es verschiedene Methoden. Der sogenannte Breitverteiler, bei dem die Gülle einfach hinten aus dem Fass „fliegt“ und dabei gerne auch mal angrenzende Straßen & Co. sprenkelt, ist mittlerweile verboten – die Gülle muss jetzt bodennah ausgebracht werden. Denn die Nährstoffe aus der Gülle sind zwar superwichtig für den Boden, sollen aber nicht in der Luft landen – Stichwort CO₂ und halt auch einfach Gestank, womit wir wieder beim Thema Landluft wären.
- Auf Wiesen zieht ein sogenannter Schleppschuhverteiler kleine Furchen und gibt die Gülle direkt hinein.
- Auf Ackerboden kommen Schleppschläuche zum Einsatz, die die Gülle auf den Boden tropfen.
- Es gibt noch einen Haufen weitere Methoden und auch Mischformen… da wird fleißig getüfelt und geforscht. Echt spannend, ich verlier mich ja gern in solchen Rabbit Holes und als Dorfkind interessiert mich das eh. 😅 Lesetipp: ein Bericht vom Triesdorfer Gülletag 2023.
Also, als Fazit… wenn du das nächste Mal einen Schluck Milch trinkst oder Käse oder Fleisch ist… denk einen Moment darüber nach, wie viel Arbeit und Logistik dafür notwendig war. 🙂
Die Beiträge der anderen Teilnehmer findest du wie immer bei Sari in der Linkparty. 😊
Haha, ich finds großartig. Eine vollkommen andere und richtige Perspektive :) Ich muss gestehen, der Sonntags-Beitrag muss an mir vorbei gezogen sein: Direkt nochmal schauen gehen!
Hallo Anne!
Gewissenskonflikte, auch kleine, helfen uns, so meine Haltung. Deinen Blogbeitrag habe ich bei mir verlinken können, was mir nicht immer so einfach fällt. Somit ein angenehmes Wochenende, Frank.
Hallo Anne!
Das ist mit Abstand der interessanteste und auch schönste Beitrag über Gülle, den ich je gelesen habe! 😅
Und ich hab eine Menge neue, tolle Wörter gelernt : Güllekeller, Schleppschuhverteiler, Ausbringfass… mein Stadtkindhirn staunt! Nicht zuletzt über einen mit Gülle gefüllten Swimmingpool! *Kopfkino
Danke für diesen Beitrag 😁
Herrlich! Jetzt weiß ich mehr über Gülle als ich jemals zu hoffen wagte. Aber ich verstehe gut, was du meinst. Dieser „Geruch“ ist mir auch bestens bekannt, hier auf dem Land.